Singlespeed, Fahrradstraßen, Ost-West-Beziehungen
Singlespeed-Alltagsversüßung
Drei Dinge, die mir den Alltag versüßen: Erstens, mein Vintage-Singlespeed (Ja, ja, ich weiß es hat einen dreier Zahnkranz vorne und eine Schalte am Lenker, aber glaubt mir, es ist de-facto ein Singlespeed. Ehrenwort.) Zweitens, eine Erfindung die Fahrradstraße heißt, und die ich erst in Berlin kennengelernt habe (die es aber sicher auch in allen anderen Städten gibt). Und Drittens, die Verbindung von Erstens und Zweitens – mein Weg zur Arbeit, meine tägliche, persönliche West-Ost-West-Achse der Freude.
Schönwetter-Fahrradfahrer
Ich gebe zu, ich bin Schönwetter-Radler. Ab 20 Grad und Sonnenschein schwing ich mich auf den Bock. Sonst nicht. Im Moment heißt das allerdings täglich. Dann mache ich mich aus Westbörlin (dem eigentlich echten Berlin, wenn man den Charlottenburgern glauben will) auf gen Osten, was für mich zumindest dann Mitte ist. Mein Weg führt mich die Uhlandstraße entlang (guter Radweg) bis zur Lietzenburgerstraße (kein Radweg), dann Richtung Osten am nördlichen Rand Schönebergs entlang. Die hier wieder vorhandenen Radwege sind holprig, aber dafür gibt es viel zu sehen und guten Kaffee an der Ecke Ansbacher Straße. Hier kann man dann morgens auch die müde-gefeierten Reste der LDBT-Community-Schönebergs beobachten. In buntes Latex gekleidete Paradiesvögel, die meist etwas orientierungslos Richtung Kudamm schlurfen.
Tiergartens grüne Arme
Weiter geht’s auf meinem Singlespeed via Urania auf die Hofjägerallee, die mir die grünen, kühlen Arme entgegenstreckt: Tiergarten! Der Traum des Drahtesel-Pendlers. Denn man hat einerseits die Wahl zwischen breiten, schattigen „Waldwegen“, auf denen einem Eichhörnchen, Hasen und auch der ein oder andere Fuchs begegnen. Wenn Zeit ist, gönnt man sich noch die „Scenic Route“ durch den Englischen Garten. Keine Lust auf Natur? Dann kann man die Straße des 17. Juni – für Touristen definitiv lohnender – nehmen und radelt an der Goldelse (Siegessäule) vorbei und auf das Brandenburger Tor zu. Im Video oben könnt ihr die Strecke zwar andersherum, aber auch sehr schön sehen. Doch durchs Tor fahren wir nicht durch. Etwa 1km davor geht es links in die Yitzhak-Rabin und am Reichstag vorbei. Dann über die Spree (Kronprinzenbrücke) und schon ist es mit der Ruhe vorbei. Die Reinhardt- und die Friedrichstraße sind hart für den nicht-motorisierten Verkehrsteilnehmer. Halsbrecherischer Slalom zwischen in zweiter Reihe parkender Liefer- und Lastwagen und rasenden Taxis ist angesagt.
Fahrrad-Idylle
Und dann wird es schlagartig wieder nett. Über die Tucholsky Straße am ehemaligen C/O Berlin vorbei (Altes Postfuhramt) und dem jüdischen Gebetshaus auf die Linienstraße – eine dieser großartigen Fahrradstraßen. Hier muss man sich nicht drängeln lassen, hier darf man nebeneinander radeln und sich unterhalten. Natürlich geht es auch hier leider nicht ganz ohne Autos. Aber die sollten sich rücksichtsvoll verhalten (und tun dies oft auch).
Sicher, Fahrradstraßen sind nicht perfekt, aber ein Anfang und ein guter Anreiz mal das Auto stehen zu lassen, und die Stadt, in der man lebt, aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen. Hier findet ihr übrigens ein Verzeichnis der Berliner Fahrradstraßen (die Webseite ist eine Initiative der Berliner Grünen).
Die Fahrrad-Idylle wird nur kurz durch den mit Hipstern und Autos vollgestopften Rosenthaler Platz unterbrochen. Jenseits schließt sich die nächste Fahrradstraße an (Weinbergsweg) die in der Fortsetzung zur Kastanienallee wird und im Prinzip über Prenzlauer Berg hinaus bis hinein nach Pankow geht. Für mich ist aber kurz nach dem Daluma (mein absoluter Lieblingsladen für Mittagstisch) und dem Galão (bester Kaffee in der Ecke) das Ende der Fahrt erreicht.
Das Wort zum Bike
Ach ja, noch ein Wort zu meinem Bike. Tatsächlich ist Berlin eine Stadt die für ein Fixie/Singlespeed gut geeignet ist. Nachdem mir bereits zwei Create Bikes geklaut wurden, hab ich mich dann zwischenzeitlich für ein Vintage/Makeshift Modell entschieden.
Es war wohl mal ein Rennrad in den 70ern. Dann wurde aber alles außer dem Rahmen und der Reifen abgeschraubt und wahrscheinlich von mehreren Besitzern „weiterentwickelt“. Vor etwa einem halben Jahr hab ich das schöne Stück dann in der gemeinnützigen Jugend Technik Schule City – West in der der Emser Straße entdeckt. Die Leute, die den Laden schmeißen sind einfach super und verstehen außerdem einiges von Rädern (natürlich). Sie haben das Ding wieder auf Vordermann gebracht und es als sauberes Singlespeed umgesetzt. Dass mein Blacky noch die Artefakte seiner früheren Leben zeigt, gefällt mir. Es unterstreicht seinen zeitlosen Charakter. ;)